Nach über 10 Jahren diagnostizierter Essstörung, von der ich erst seit ein paar Wochen weiß, das sie das erste Mal schon vor 10 Jahren in einem Arztbrief stand, bin ich nun in entsprechender Behandlung.
Das mein Essverhalten nicht normal war, das habe ich schon ziemlich früh mitbekommen. Essen, Figur, Portionen, gutes und schlechtes Essen .... das waren alles Themen, mit den ich schon als Kind zu Hause aufgewachsen bin. Und so habe ich dieses ambivalente Verhalten zu Essen auch ganz logisch übernommen.
Mein Leben lang habe ich mich an anderen Orientiert, ohne dabei zu beachten, was mein eigener Körper braucht. Ich habe eine Leidenschaft für Chips, Cola und Süßigkeiten entwickelt, über die ich irgendwann auch keine Kontrolle mehr hatte.
Abends vor dem Fernseher bin ich damit aufgewachsen, das man gerne noch Obst oder Nüsse naschen darf. Ich habe später Süßes und Salziges daraus gemacht. Aus meiner heutigen Erfahrung weiß ich nun auch, das meine Mama garantiert nicht nur die zwei Scheiben Knäckebrot mit dünnem Belag als alleiniges Frühstück hatte. Der Verstand, die Erfahrung und natürlich die Figur der Mama .... aber als Kind oder Jugendliche bekommt man das noch nicht so ins rechte Bild gerückt. Ich habe damals einfach die Zusammenhänge erkannt.
Mir ist inzwischen ziemlich klar, das einfach gegessen wurde, wenn wir Kinder in der Schule oder im Bett waren. Den wir wurden zu den Hauptmahlzeiten schon gesund ernährt und es wurde immer auf Ausgewogenheit geachtet. Aber meine Eltern wurden vom heimlichen Essen dick, wenn wir Kinder nicht dabei waren. Anders kann ich mir das nicht erklären, den bei mir war es ja genau so.
Eine Essstörung trage ich also schon ziemlich lange mit mir herum. Richtig hineingesteigert habe ich mich dann so mit Mitte 40 teilweise. Da kam tagelanges Fasten ins Spiel oder sehr einseitiges Essen. Shake it Baby und anschliessende Fressgelage. Ich lag so manche Nacht mit prallem Magen im Bett und konnte vor Übelkeit nicht schlafen. Manchmal kam das zuviele Essen ein Stück weit die Speiseröhre wieder hoch. Aber Übergeben war nicht, das kann ich nicht. Für mich war halt Abführmittel in immer höherer Dosis das Mittel der Wahl.
Nach meiner Schlauchmagen-OP hat sich das dann ins Gegenteil verkehrt. Durch den Schlauchmagen viel das Abnehmen leichter, mein Hunger war weg und die Lust auf Süßes und Salziges verschwunden. Ich war extrem glücklich, kein Bedürfnis mehr nach Naschsachen zu verspüren.
Dann ging irgendwann auch der Sport leichter, je weniger ich wog. Und irgendwie wurde es dann zu einem Selbstläufer. Mit dem Schlauchmagen konnte ich nicht mehr regelmässig auf die Toilette. Also nahm ich Anfangs ab und an mal eine kleine Dosis Abführmittel.
Als meine Portionen minimal wieder etwas größer wurden, hatte ich dann unerträgliche Angst, das ich wieder zunehme. Obwohl ich zu der Zeit noch weit unter meinem Tagesumsatz an Essen und Getränke schaffte. Ich geriet ihn die Abführmittelspirale und nahm dann wieder jeden Tag Tropfen. Und es wurden jeden Tag immer mehr Tropfen. Und ich hatte plötzlich diese Regel in meinem Kopf, die mir nicht erlaubte zu Essen oder zu Trinken, wenn ich morgens nicht auf die Toilette konnte. Ich konnte diese Regel einfach nicht brechen, habe dann an einem Tag sogar die einzelne Weintraube aus dem Mund gespuckt, weil ich noch nicht auf dem Klo war. Das hat sich so verselbstständigt, und ich habe das alles nicht wahrhaben wollen.
Es ging dann nur noch um möglichst wenig zu Essen, möglichst viel zu Trinken, viel Bewegung und möglichst oft aufs Klo gehen zu können.
Schwer verständlich zu machen, wenn einer keine Essstörung hat. Das verselbstständigt sich soweit, das man seinem Gehirn, seinen Körper nicht mehr auf die Reihe bekommt. Man handelt danach, obwohl man weiß das es Falsch ist und kann es einfach nicht ändern. Man ist dem alleine ausgeliefert.
Nach dem mir jeder gesagt hat, das ich viel zu dünn bin, wurde ich Anfangs richtig aggressiv. Ich konnte es nicht verstehen, wollte für diesen vermeintlichen Erfolg bewundert werden. Auch so ein Symptom bei mir gewesen. Ich wollte, das die Welt so stolz auf mich ist, wie ich auf mich selbst.
Dann dann brach von Heute auf Morgen das Gegenteil durch. Ich war plötzlich am Dauergrasen. Das passiert gar nicht so selten, bei einer Esstörung, das man zwischen den verschiedenen Essstörungen hin und her pendelt. Alles was Zucker, Fett und Salz war, wurde von mir gnadenlos gegrast. Sobald mein Magen platz hatte, schon ich das nächste Stück rein und zwar während meiner gesamten Wachphase, in der ich alleine zu Hause war. Alles schön heimlich. Mit der Zeit fand ich auch Wege, dann heimlich zu Essen, wenn mein Freund und seine Tochter im Haus waren. Ich wurde einfach erfinderisch.
Das war der Zeitpunkt wo ich mir endlich eingestand: ich schaffe das nicht alleine. Meine Handlungen sind wie ferngesteuert und ich bin nicht der Besitzer der Fernsteuerung.
Nun bin ich seit dem 07. Januar 2019 in einer Klinik für Essstörungen.